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2Hot im ausführlichen Interview beim Festival Sandstein und Musik

Alles Boogie

 

Jazz zu definieren, bedeutet bereits im Versuch die Gefahr einer Einengung. Die Musikwissenschaft hat zwar genügend Möglichkeiten aufzuzählen, „ was Jazz ist und was nicht“, aber das Phänomen in seiner Gesamtheit und Komplexität darzustellen, ist schwierig.

Anders als bei bestimmten Strömen bzw. Komponisten der Klassik sind die Grenzen stets fließend, wird improvisiert, sind Noten kein Korsett, sondern vielmehr gedankliche Stützen. In seiner Entstehung steckt schon von Anbeginn die Idee der Revolte, des Aufbegehrens, die Wildheit und Verführung, die Sehnsucht und Melancholie, aber auch Exzess und Ekstase.

Seit nunmehr fast 100 Jahren haben sich Ragtime, Stride und Boogie Woogie Piano als jazzige Urformen ihren Charme bewahrt. Dieser basiert auf der Ursprünglichkeit des Blues, unmittelbar spürbarer Kraft und der Mischung aus Tempo, Tricks und swingender Rhythmik.

Mario Meusel und Christian Schöbel zelebrieren ihre Konzerte in Duo-Besetzung seit über 20 Jahren mit Beständigkeit und nimmermüdem Konzertieren. Wenn der Piano-Deckel aufgeklappt ist und die kleine Trommel zischt, wenn Füße wippen, Finger schnippen und freundliche Köpfe wackeln. Wenn Leute wie auf Knopfdruck bessere Laune bekommen und ihre Steifheit untereinander ablegen: Dann ist schon ein wichtiges Urprinzip des Jazz erfüllt, der in seinen Anfängen immer auch als Soundtrack für eine Party entstand.

 

 

Die beiden oft gestellten Fragen

 

In Interviews sind die ersten Fragen immer diejenigen nach Bandnamen und Art der Musik.

Diese zu beantworten ist durch einen Schwenk in die Anfangszeit des Jazz möglich.

Gerade die frühen populären Formen der Klaviermusik leben davon, dass sie inmitten des Publikums entstanden sind und damit dass Auditorium und Bühne verschmelzen. Eine Überhöhung des Darbietenden ist weder nötig, noch gewollt. Ob in Saloons, Kneipen, Trinkhallen, Spelunken oder zwielichtigen Etablissements, der Piano- Mann war mittendrin im Treiben und illustrierte den Trubel musikalisch.

Christian Schöbel beginnt seine Ausführungen: „Einen wissenschaftlichen Erstfund, den man mit einer korrekten Datierung verbinden könnte, gibt es ja nicht. Erahnen kann man nur anhand von deutlichen Indizien, dass die Sklaven den Blues im Gepäck hatten, den sie in ihren Gesängen pflegten und mit Wanderinstrumenten begleiteten. Hinzu kam eine blühende Ragtimekultur um die Jahrhundertwende, gerne auch in Walzen für Pianos gearbeitet."

Dabei griffen die Pianisten alles auf, was gefiel, Themen und Versatzstücke wurden mit Druck und fast an Polka erinnernder Bassbegleitung versehen. Auf die ganzen Zählzeiten konnten nunmehr mit der rechten Hand recht wirksame Triller und synkopierte „Fetzen“ gesetzt werden. Ragtime bedeutet wortwörtlich „Zerrissene Zeit“, danach haben 2Hot auch ihre vorletzte CD betitelt: Ragged Times.

 

Vom Jass zum Jazz

 

Während in den Häusern ein treibender Pianosound entstand, erfuhr auch die Musik auf der Straße einen neuen Impuls. Im Schmelztiegel New Orleans zogen befreit aufspielende Brassbands durch die Straßen. Märsche und Melodien der europäischen Einwanderer nahmen sie spielerisch auf begannen damit, sie grundsätzlich anders zu phrasieren. Rhythmische Figuren aus ihren afrikanischen Heimatländern bildeten einfach bessere Möglichkeiten der freien melodischen Ausschmückung.

Der berühmte Pianist Jelly Roll Morton behauptete zwar gerne „…ich habe den Jazz erfunden…“, doch in New Orleans gilt noch heute Buddy Bolden als Urvater dieser Musik. Er und seine Brassband waren die erste verbriefte Attraktion und versetzen die Stadtteile in helle Aufregung. Boldens „Jass“- Musik sorgte für Überschwang. Wer ein Blas- oder Schlaginstrument hatte, musste hin! Ob „ Jass“ in einem Sprachgag aus „Jam“ und „Brass“ entstand, kann nur vermutet werden. Wenig später wurde daraus der Jazz. Das Wort war wie die Musik: anrüchig und unmoralisch. Alle bisher bestehenden Dämme in den Köpfen und Beinen begannen zu brechen. Rassenschranken sollten sich als beschämend und hinderlich entlarven.

Mario Meusel sagt dazu: „Beim Dixielandfestival in Dresden werden ja oft Fragen aus dem Publikum gestellt. Können wir als Europäer authentischen Blues und Early Jazz spielen? White Man’s Swing-gibt es den wirklich?

Ich sage: ja! Man kann sich das wie beim Einzug ins Paradies vorstellen: schwarze Musik auf den Instrumenten der Weißen. Inklusive aller kuriosen Nachahmungsversuche, als sich die Weißen wie Schwarze schminkten, während sie im Dixieland deren Musik nachahmten. Daraufhin dachten die Schwarzen wiederum, sie müssten nun die geschminkten Weißen nachahmen und so sind völlig kuriose Minstrel-Shows entstanden.

Schwarz-Weiß-Denken ist ja immer hinderlich, und hierbei ganz besonders.“

 

Vom Hot-Jazz zum Swing

 

Ein kleiner Junge steht am Straßenrand und vom Erlebnis des vorbeiziehenden Bolden ist er so fasziniert, dass er nicht mehr loskommt von seinem Idol. Er möchte auch Trompeter werden und es muss mindestens genau so gut klingen! Einige Jahre später wird dieser Junge mit seiner heißen Spielweise die Musik namentlich prägen. Hot Jazz!

Louis Armstrongs Sound war zur Marke geworden. Die Bezeichnung „ Hot- Music“ brachte es einfach auf den Punkt. Draußen marschierten die Marching- Bands und drinnen begannen nun auch die Pianisten mehr Bewegung in ihr Spiel zu bringen.

Sie marschierten aber nicht. Sie schritten. Die Musik hierzu war der Stride, bei dem die Protagonisten die Straßen von Chicago und New York gedanklich entlang spazierten.

Stride Piano ist bis heute hohe Schule und mitnichten einfach nachzuspielen. Es stellt allerhöchste Ansprüche an körperliche Verfassung und Konzentration. Mentor und Ikone war James P Johnson, der sein Wissen gerne weitergab. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass alle frühen modernen Pianisten, egal ob sie in Richtung Revue und Schlager gingen oder weiter den Jazz modernisieren sollten ausnahmslos gute Stride-Pianisten waren. Fats Waller, Earl Hines, Willie The Lion Smith, Art Tatum und selbst Thelonius Monk.

Mario Meusel:„Hot Music ist sehr nahe am Ursprungsgedanken, darum haben bereits Armstrongs Besetzungen oft das „ Hot“ im Namen. Da wir das ganze im Duo betreiben, nannten wir es kurz und bündig 2Hot. Diese kleine Reminiszenz soll daran erinnern, warum wir überhaupt Musik–und nix anderes machen.“

Aus Hot Music wurde bald der Swing. Swing war wiederum eine noch zweideutigere Beschreibung, diesmal jedoch nicht nur für Musik, sondern bis heute für eine Lebenseinstellung.

 

Tickler, Shouter, Boogie Men

 

Stride als Musik der Zeit mündete bald in weiteren Spielweisen. Eine davon entwickelte sich auf House Rent Partys und sollte nach einer kurzen Reifephase die Musikwelt auf den Kopf stellen. Boogie Woogie. War in einem Haushalt die Kasse knapp, wurde einfach zur Feier geladen, alle brachten irgend etwas mit und spendeten eine Kleinigkeit. Immer zugange dabei: die Pianisten im Viertel. Tickler genannt, aufgrund ihres Umgangs mit Frauen und den Tasten. Shouter waren die Vorboten späterer Gesangeskunst, die ihre Botschaften und Refrains fast riefen. Die Boogie Men trieben sich zu Höchstleistungen an und spielten sich um Kopf und Kragen.

Die Möglichkeit, Musik auf Schallplatten einzuspielen und damit ein Geschäft zu machen, trug immens zum Siegeszug des Boogie Woogie bei, zum legendären Reunion- Concert von Pete Johnson, Albert Ammons und Meade Lux Lewis in der Carnegie Hall sollen 1938 die Menschen vor Begeisterung in den Kronleuchtern geschaukelt haben.

Clarence Pine Top Smith schuf in der ersten Genre- Aufnahme jenen legendären Titel, der ab nun Namens-prägend war: Pine Tops Boogie Woogie.

Dass dieser auch in einem 2Hot Konzert erklingt ist darum nur folgerichtig.

Schöbel dazu: "Jeder Boogie-Spieler beschäftigt sich mit dem Stück, das ist eine Art Verpflichtung. Alle haben eine eigene Version davon. Wir nicht. Wir haben viele."

Welche im Konzert erklingt, machen wir immer von der jeweiligen Situation abhängig. Das gilt übrigens bei uns für alle Klassiker, egal ob Maceo Merryweathers „Chicago Breakdown“ oder den „Honky Tonk Train Blues“ von Meade Lux Lewis.

 

 

Swing als Rebellion

 

Interesse an der Musik war bei Meusel und Schöbel bereits im Kindesalter vorhanden.

Der Eine trommelte bereits im Kindergarten auf Eimern und Schüsseln, der andere bekam mit 5 Jahren ersten gestrengen Klavierunterricht. Schöbel ergänzt:

„Für unsere späteren Lehrer Prof. Siegfried Ludwig und Gert Hausmann war der Swing über mehrere Gesellschaftsordnungen hinweg Rebellion und Kraftquell zugleich.

Ihre Songs haben sie teilweise im amerikanischen Rundfunk beim Hören auf Mittelwelle mitgeschrieben. Wir haben besonders bei ihnen, aber auch bei guten Freunden und Kollegen genau jene Lust am Schürfen in der Jazz-Geschichte erleben und mitnehmen dürfen. Für all die Inspiration unterwegs kann man nur dankbar sein.“

Die wilde Jazz-Zeit, der 20iger/30iger Jahre ist wahrscheinlich Geschichte. Mario Meusel aber formuliert noch einen interessanten Gedanken: „Die 90iger Jahre waren genau so verrückt! Alles schien zu gehen. Nach unserer Rückkehr nach Dresden haben wir sämtliche Entscheidungen ohne Sicherheitsdenken gefällt. Auch die, es mit der Musik als Beruf und einem Lebensmittelpunkt in Dresden zu versuchen.

Wir wollten aber gerne auch gestalten und haben darum früh begonnen, Festivals zu organisieren wie den Boogie Woogie Sommer oder die Hofmusik in Pieschen. Wir haben in eigenen Radiosendungen sachsenweit das gesendet, was uns am Herzen lag. Ein wenig Fernsehen, ein wenig Kino. Und vor allem viele Konzerte.“

Eines Abends lernten Meusel und Schöbel das Zwinger Trio bei einer Benefiz-Veranstaltung kennen.

Daraus ergab sich eine langjährige Zusammenarbeit mit Tom Pauls, in dessen Theater 2Hot als Begleiter und mit eigenen Konzerten auftritt.

So werden Meusel und Schöbel auch beim diesjährigen Festival Sandstein und Musik mit ihrer Mischung aus Blues, Boogie und Jazz für Begeisterung sorgen.

Christian Schöbel beschließt das Gespräch: „Unsere Konzerte im Peter Ullrich Haus sind immer stimmungsvolle Sternstunden. Nach all der Zeit kann man sogar von einem Heimspiel sprechen. Wir freuen uns riesig auf unsere Gastspiel. Let’s Boogie!“

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